Im Gespräch mit Frau Appiano-Kugler Leiterin der Arbeitsmarktpolitik für Frauen beim AMS zeigt sie eindrucksvoll, wie stark Gleichstellungsarbeit und Unternehmenskultur den Erfolg einer Organisation prägen können – und welche Herausforderungen sich daraus ergeben.
Seit über 30 Jahren verfolgt das AMS eine konsequente Strategie, um Frauen gezielt zu fördern und ihnen Führungspositionen zu ermöglichen. Das Ergebnis ist bemerkenswert: Mit einem stabilen Frauenanteil von rund 55 Prozent in Führungsrollen gilt das AMS als Vorreiter in der öffentlichen Verwaltung. Diese Entwicklung ist kein Zufall, sondern das Resultat klarer gesetzlicher Rahmenbedingungen, wie dem Bundesgleichbehandlungsgesetz, und einer entschlossenen Personalentwicklung, die von Anfang an den Anspruch hatte, das volle Potenzial von Frauen zu nutzen.
Gleichzeitig macht Frau Appiano-Kugler deutlich, wie anspruchsvoll und belastend die Arbeit im AMS ist – besonders für Beraterinnen und Berater. Sie stehen täglich vor komplexen Herausforderungen, die weit über klassische Arbeitsvermittlung hinausgehen. Egal, ob Wohnungslosigkeit, Verschuldung, Krankheit, Suchtprobleme oder familiäre Krisen: AMS-BeraterInnen sind oft die erste Anlaufstelle für Menschen in schwierigen Lebenslagen, obwohl viele dieser Themen eigentlich mehrere Institutionen gleichzeitig erfordern würden. Diese Vielschichtigkeit verlangt ein hohes Maß an Empathie, Intuition und sozialer Kompetenz. Der Druck ist enorm, weil Gespräche oft in extrem kurzen Zeitfenstern geführt werden, während gleichzeitig organisatorische Aufgaben erledigt werden müssen. Das Risiko von Erschöpfung und Überforderung ist da, trotz hoher Motivation.
Hinzu kommt der seit Jahren bestehende Ressourcenmangel. Obwohl Pilotprojekte gezeigt haben, dass mehr Personal langfristig sogar Kosten sparen könnte – etwa, weil intensivere Betreuung Menschen schneller zurück in Beschäftigung bringt –, sind zusätzliche Stellen politisch nur schwer durchsetzbar. Dabei ist das AMS systemrelevant, was sich besonders in der Corona-Krise zeigte, als in kürzester Zeit massenhaft Anträge bearbeitet werden mussten. Diese Belastung konnte nur dank des außergewöhnlichen Engagements der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gemeistert werden, was den Stellenwert des AMS als tragende Säule des österreichischen Arbeitsmarktes eindrucksvoll unterstrich.
Ein weiterer prägender Aspekt ist die ständige Veränderung. Das AMS arbeitet in einem Umfeld, das sich permanent an neue Gesetze, politische Vorgaben und gesellschaftliche Entwicklungen anpassen muss. „Change-Management ist beim AMS kein Projekt, sondern gelebter Alltag“, meint Frau Appiano-Kugler. „Wer beim AMS arbeitet, muss diese Dynamik mögen und bereit sein, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln.“
Trotz dieser Herausforderungen ist das AMS ein attraktiver Arbeitgeber, der für Stabilität, faire Bezahlung und Familienfreundlichkeit steht. Gerade für Frauen und Alleinerziehende bietet es ein Arbeitsumfeld, das Vereinbarkeit ermöglicht und aktiv unterstützt. Dieses Zusammenspiel aus Sinnhaftigkeit, Verantwortung und Sicherheit macht das AMS zu einer besonderen Organisation: „Es ist ein Arbeitsplatz für Menschen, die Vielfalt, Veränderung und echte Verantwortung suchen – und gleichzeitig ein Beispiel dafür, wie Unternehmenskultur und Gleichstellung in einem öffentlichen Betrieb nachhaltig gelebt werden können“, beschreibt Frau Appiano-Kugler.
Woher kommt Ihr starker Einsatz für Empowerment, liebe Frau Appiano-Kugler?
„Ich bin in Oberkärnten in einem stark patriarchalen Umfeld aufgewachsen, und sehr früh war mir klar: Diese Strukturen will ich nicht akzeptieren, sondern überwinden“, berichtet sie. „Diese Haltung prägt mein ganzes Leben und meinen Einsatz für Gleichstellung und soziale Gerechtigkeit. Für mich ist klar: Wo Vielfalt und Inklusion fehlen, entstehen Diskriminierung und Ungerechtigkeit – deshalb setze ich mich mit voller Überzeugung für faire Chancen und den Schutz vulnerabler Gruppen ein.“
Frau Appiano-Kugler zeigt, wie ihr eigener Bildungsweg und ihr Erfolg von Strukturen abhängt, denn ohne die sozialdemokratischen Reformen der Kreisky-Ära hätte sie nicht studieren können. „Noch heute ist unser Bildungssystem elitär, selektiv und verschwendet das Potenzial vieler Kinder, die nicht aus privilegierten Familien kommen“, fasst sie zusammen.
Ein zentrales Thema ist die Benachteiligung von Frauen: Weibliche Sozialisation wirkt oft wie ein Stockholm-Syndrom: Viele Frauen glauben noch immer, sie seien automatisch für unbezahlte Arbeit zuständig. Schwangerschaft und Kinderbetreuung werden zu lebenslangen Nachteilen, während Frauenpensionen im Schnitt nur 40 Prozent jener der Männer erreichen. Empowerment heißt, selbst zu bestimmen, wer ich bin.
Im Gespräch nennt Frau Appiano-Kugler zwei für sie zentrale Bereiche:
Besonders kritisch betont sie, dass unbezahlte Arbeit das Fundament unserer Gesellschaft bildet, aber weder sichtbar noch fair bewertet wird. Selbst in Haushalten, in denen Frauen mehr Erwerbsarbeit leisten als die Männer leisten sie auch mehr an unbezahlter Arbeit – eine Schieflage, die kaum hinterfragt wird.
Auch das Bildungssystem steht für Frau Appiano-Kugler sinnbildlich für diese Ungerechtigkeiten: Es fokussiert auf Schwächen statt Potenziale und demotiviert viele Jugendliche, die dann frustriert beim AMS landen. Hinzu kommt ein besorgniserregender gesellschaftlicher Rechtsruck, der Frauenrechte und Demokratie infrage stellt – Werte, die längst außer Streit stehen sollten.
Mein Antrieb ist Empowerment, aber nicht als Schlagwort, sondern als Haltung: „Ich bestimme, wer ich bin, ich fordere Solidarität unter Frauen und eine klare politische Haltung“ unterstreicht Frau Appiano-Kugler ihre Position. Veränderung braucht Mut, das Bewusstsein – und den Willen, tradierte Rollenbilder konsequent zu hinterfragen.
Wie leben Sie Empowerment beim AMS?
Empowerment ist für Frau Appiano-Kugler nicht nur ein individuelles Konzept, sondern spielt auch eine zentrale Rolle in der Organisationskultur des AMS. Sie beschreibt die Zusammenarbeit in ihrem Team und im gesamten Haus als von hoher intrinsischer Motivation geprägt: Die Mitarbeitenden eint das Ziel, Gleichstellung am Arbeitsmarkt voranzutreiben, Diskriminierung zu bekämpfen und sich für Inklusion einzusetzen. Dieses gemeinsame Wertegerüst verleiht der Arbeit Sinn und fördert ein starkes Engagement.
Appiano-Kugler betont, dass im AMS eine Kultur des offenen Austauschs herrscht. Entscheidungen werden selten einsam getroffen, sondern entstehen meist aus einem intensiven Diskussionsprozess. Die Organisation sei trotz klarer Hierarchien stark basisdemokratisch geprägt:
Ideen und Vorschläge können von jeder Ebene eingebracht werden, und es gibt einen offenen Zugang zu Führungskräften – bis hin zum Vorstand. Dieses Prinzip der „Open-Door-Policy“ ermöglicht es, Anliegen direkt vorzubringen und Lösungen gemeinsam zu entwickeln.
Besonders wichtig ist für sie, dass das AMS nicht nur als Behörde, sondern als „Bandscheibe“ zwischen Unternehmen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern fungiert. Diese Rolle erfordert eine pragmatische, sachorientierte Haltung, jenseits von ideologischen Grabenkämpfen. Sie schätzt, dass dieser Ansatz im AMS gelebt wird: Wenn eine Maßnahme sinnvoll ist, wird sie unabhängig von ihrer Herkunft umgesetzt.
Frau Appiano-Kugler spricht auch ihre persönliche Führungsphilosophie an: Sie setzt auf Gelassenheit, Selbstreflexion und den bewussten Umgang mit Herausforderungen. Anstatt in Hektik oder Drama zu verfallen, empfiehlt sie, Entscheidungen zu überdenken und Konflikte mit Bedacht anzugehen. Diese Haltung hat sie in ihrer langjährigen Tätigkeit beim AMS geprägt, wo sie seit über drei Jahrzehnten tätig ist, davon viele Jahre in Führungsverantwortung.
Darüber hinaus gewährt sie Einblicke in ihr Engagement außerhalb des AMS, etwa als Aufsichtsrätin bei der ÖBB oder im Vorstand des Frauenrechtsschutzfonds. Diese Tätigkeiten ermöglichen ihr, neue Perspektiven zu gewinnen und Themen wie Nachhaltigkeit, Gleichstellung und Diversität auch in anderen Organisationen einzubringen. Ihr ist es wichtig in Ihrer Rolle Führungs- und Organisationskultur so zu verbinden, dass die Themen Sinnorientierung, offener Kommunikation und die Bereitschaft zu kontinuierlicher Weiterentwicklung darin gleichberechtigt Platz finden.
Ihr persönlicher Stresstipp:
Wenn ich jetzt im Moment glaube, ich habe ein Problem, dann frage ich mich: Ist das in 5 Jahren tatsächlich ein Problem, wenn es in 5 Jahren kein Problem ist, habe ich kein Problem!
Viktor Frankl („mein großer Held“) ist da sehr hilfreich, besonders geprägt haben sie 2 Sätze.
„Man darf sich von sich selbst nicht alles gefallen lassen“ und
„Man darf nicht alles glauben, was man denkt.“
„Dann denke ich mir, kein Grund zur Panik“. Meistens hilft es Frau Appiano-Kugler über ganz schwierige Themen eine Nacht mal darüber zu schlafen. Die wichtigste Botschaft ist, nicht sofort antworten, wenn einen etwas ärgert. Man kann schon schreiben und antworten, aber nicht wegschicken. Ich merke, am nächsten Tag schreibe ich das mail ganz anders.