Mit Sonja Wehsely, Executive Vice President bei Siemens Healthineers, spreche ich über Empowerment – und wie es als innere Haltung, als Führungsprinzip und als Grundlage für nachhaltige Leistung wirken kann. Wehsely verantwortet beim Medizintechnikspezialisten von Wien aus den Geschäftserfolg in 30 Märkten Zentral-/Osteuropas und Zentralasiens.
Wie stehen Sie selbst zum Thema Empowerment?
Sonja Wehsely berichtet im Gespräch, wie tief das Thema Empowerment in ihrer Haltung und ihrem Führungsverständnis verankert ist. Sie unterscheidet klar zwischen der eigenen Selbstermächtigung und der Verantwortung, als Führungskraft andere zu empowern.
„Empowerment beginnt bei einem selbst,“ meint Sonja Wehsely: Für sie beginnt alles mit dem eigenen inneren Antrieb. „Nur wer selbst im „Driver Seat“ des eigenen Lebens sitzt, wer sich etwas zutraut und seine Entscheidungen in Übereinstimmung mit sich selbst trifft, kann authentisch andere stärken.“ Empowerment ist aus ihrer Sicht kein reines Führungstool, sondern eine Grundhaltung, die spürbar wird, wenn Menschen sich selbst etwas zutrauen und genau dadurch auch ihre KollegInnen und Teams mitziehen.
Sie betont, dass Empowerment eine zentrale Aufgabe von Führung ist – auch wenn es nicht ausdrücklich in der Stellenbeschreibung steht. Führung bedeutet für sie, Menschen dabei zu unterstützen, über sich hinauszuwachsen, sich Dinge zuzutrauen, die sie sich zuvor nicht erlaubt hätten. Das erlebt sie als bereichernd – sowohl für die Mitarbeitenden als auch für sich selbst. „Für mich ist Empowerment keine Aufgabe, die mich belastet, sondern eine, aus der ich Kraft schöpfe.“
Ein zentrales Fundament als Basis für Empowerment ist für Sonja Wehsely Authentizität. Sie macht klar, dass sie keine Rollen spielt – weder auf der Bühne noch im Unternehmen. Wer mit sich selbst im Reinen ist, kann ehrlich führen, präsent sein und zugleich nahbar bleiben. Sie glaubt, dass diese Authentizität auch in anspruchsvollen Rollen nicht nur möglich, sondern notwendig ist, um glaubwürdig zu wirken und nachhaltiges Vertrauen aufzubauen.
Dabei ist ihr bewusst, dass Empowerment und Leistung einander nicht ausschließen. Im Gegenteil: Sonja Wehsely macht deutlich, dass Freundlichkeit nicht mit Schwäche verwechselt werden darf. Klarheit in den Erwartungen, Konsequenz in der Führung und Freude an Leistung – das alles gehört für sie zusammen. „Empowerment bedeutet für mich nicht, Hierarchien aufzulösen, sondern Menschen innerhalb klarer Rollen in ihre Verantwortung zu bringen – mit Blick auf Ergebnis, Zusammenarbeit und Selbstentwicklung.“
Gerade auch im Mentoring lebt sie dieses Prinzip. Viele Jahre hat sie globale Initiativen zur Förderung von Diversität begleitet und nutzt ihre Erfahrung, um andere zu unterstützen – nicht, indem sie Lösungen vorgibt, sondern indem sie hilft, dass Menschen ihre eigenen Lösungen finden. Ihre Devise: „Ich erkläre niemandem die Welt – ich helfe, die eigene Welt zu entdecken,“ sagt Sonja Wehsely
Dabei denkt sie Empowerment auch im Kontext von Karriereentwicklung konsequent weiter. Niemand sei verantwortlich für die Laufbahn eines anderen – das liege in der Hand jeder und jedes Einzelnen. Führungskräfte könnten Impulse geben, Türen öffnen, begleiten – aber nicht stellvertretend handeln. Empowerment bedeutet: Selbst gestalten statt abwarten.
Gibt es kulturelle Unterschiede für Empowerment, die Sie in Ihrer internationalen Rolle erleben?
Frau Wehsely betont, dass kulturelle Unterschiede eine bedeutende Rolle im Umgang mit Empowerment und Beteiligung spielen. Kulturelle Unterschiede beeinflussen, wie Empowerment wahrgenommen und gelebt wird. „In manchen Ländern melden sich Menschen sehr schnell, wenn es um neue Aufgaben oder zusätzliche Verantwortlichkeiten geht – in anderen eher zögerlich oder gar nicht. Das liegt nicht nur an der Unternehmenskultur, sondern auch an nationalen oder kulturellen Prägungen.“
Sie beobachtet, dass manche Menschen – etwa aufgrund ihrer Kultur, ihres Alters oder Geschlechts – zurückhaltender sind, wenn es darum geht, sich einzubringen oder eine Karrierechance zu ergreifen. Deshalb sei es wichtig, auch den „Leisen“ Raum zu geben und ihnen gezielt Möglichkeiten zu eröffnen.
In einem globalen Unternehmen, das über viele Ländergrenzen hinweg operiert, sei es essenziell, sich dieser kulturellen Unterschiede bewusst zu sein und „inklusive Führung“ zu leben. „Das bedeutet, unterschiedliche Mentalitäten, Kommunikationsstile und Erwartungen im Blick zu haben und aktiv in die Führungspraxis zu integrieren.“
Wie leben Führungskräfte Empowerment im Unternehmen?
Empowerment ist für Sonja Wehsely ein zentrales Element wirksamer Führung – aber auch ein Thema, das differenziert betrachtet werden muss. Es geht dabei gerade in der Führung auch um die Verantwortung, andere gezielt zu fördern. Sonja Wehsely betont: „Menschen sind unterschiedlich – und genau darin liegt der Schlüssel für gute Führung. Manche schreien laut „hier“, andere sind leise und zurückhaltend. Gerade die Leisen sichtbar zu machen, sie gezielt zu ermutigen und in Entwicklungsschritte einzubinden“, ist für sie essenziell.
Gleichzeitig braucht Empowerment Rahmenbedingungen: Siemens Healthineers hat eine Unternehmenskultur, in der Mitgestaltung erwünscht ist, Entscheidungen reflektiert getroffen werden und Karriere nicht als Automatismus gedacht werden, sondern als bewusste Wahl. „Nicht jeder muss Führung übernehmen, um wertvoll zu sein“, meint Sonja Wehsely. Für viele ist ein lateraler Entwicklungspfad genau das Richtige – und genau diesen Raum eröffnet sie in ihrer Führungsarbeit. Mit Klarheit und offenen Gesprächen schafft sie Orientierung: „Wer möchte gestalten? Wer fühlt sich in seiner Rolle wohl und leistungsfähig? Wer strebt Veränderung an – und wer nicht?“
Für Sonja Wehsely ist es wichtig, genau zuzuhören, wenn es in Gesprächen um Karriereentwicklung geht. Manche Menschen wollen aufsteigen, weil der Glaube an den Aufstieg sie antreibt. „Wenn ich sehe, dass dieser Karriereschritt überfordert und die Person ihre Rolle nicht gut ausfüllt, statt zu Glück und Zufriedenheit zu führen, sehe ich es auch als Aufgabe, „Stopp“ zu sagen.“ Ihr Vergleich ist treffend: „Es passt kein Viertel in ein Achtelglas.“ Das ist manchmal schwierig, aber langfristig seien die Menschen dankbar.
Wir kommen wieder zurück zur Authentizität. Sonja Wehsely lebt in Ihrer Führungsrolle, was sie auch von anderen Führungskräften fordert: klare Prinzipien, transparente Entscheidungen und ein offenes Miteinander auf Augenhöhe. Sie ist überzeugt: Nur wer als Führungskraft sich selbst kennt und mit sich im Reinen ist, kann andere ehrlich stärken – und auch schwierige Entscheidungen nachvollziehbar kommunizieren. Ihre Haltung: Führung bedeutet nicht, Freundschaften zu pflegen, sondern mit Respekt, Klarheit und Vertrauen gemeinsam Leistung zu ermöglichen.
Dabei sieht sie Empowerment nicht als Gegensatz zu Leistung, sondern als Voraussetzung dafür. Freude an Leistung, Resilienz und Eigenverantwortung sind für sie wesentliche Treiber von Erfolg – sowohl individuell als auch im Team. Führung bedeutet für Sonja Wehsely, „Räume zu schaffen, in denen Menschen wachsen können, aber auch ehrlich zu benennen, wenn etwas nicht passt“. Sie spricht dabei von klaren Erwartungen, aktiver Begleitung und einer bewussten Auswahl von Menschen, die führen wollen – nicht, weil es der nächste logische Schritt ist, sondern weil es zu ihrer Persönlichkeit und inneren Haltung passt.
Für Sonja Wehsely ist Empowerment kein Soft-Faktor, sondern eine zentrale Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg. Sie ist überzeugt: „Eine Kultur, in der Menschen mitdenken, gestalten und mittragen, entsteht nicht durch Kontrolle, sondern durch Sicherheit, Vorbildwirkung und ehrliche Dialoge.“ Unternehmen, die das erkennen, entwickeln eine Stärke, die weit über Prozesse und Strukturen hinausreicht – sie entwickeln Wirkung, die bleibt.
Besonders wichtig ist ihr, Chancen fair zu verteilen: Positionen werden intern ausgeschrieben, um nicht nur die Naheliegenden, sondern auch die „leisen Talente“ zu erreichen. Entscheidungen werden gemeinsam mit HR und diversen Auswahlgremien getroffen, um unbewusste Vorannahmen zu hinterfragen. „Mein Ziel ist es, auf Augenhöhe zu entscheiden – nach Leistung, Potenzial und Passung, nicht nach Gewohnheit oder Nähe.“
Empowerment bedeutet für sie nicht, Hierarchien abzuschaffen, sondern Verantwortung klar zu benennen – und Führung als bewusste Aufgabe zu leben. Nur so entstehen Teams, in denen Leistung, Freude und Wachstum möglich sind – nicht trotz, sondern wegen einer klaren Führungskultur.
Wie geht sie selbst mit herausfordernden Situationen um?
Sonja Wehsely betont, dass Sie mit ihrer eigenen Herangehensweise keinerlei allgemeine Tipps geben möchte. Jede/Jeder muss für sich selbst herausfinden, was guttut. Sie selbst nutzt:
- Sport: Bewegung ist ein absoluter Fixpunkt, selbst wenn es nur frühmorgens möglich ist. Sie steht lieber um 5:30 Uhr auf, um laufen zu gehen oder ins Fitnessstudio zu gehen, als darauf zu verzichten – auch auf Geschäftsreisen. „Sport ist für mich zentrales Mittel, um im Gleichgewicht zu bleiben“, meint sie.
Realistische Erwartungen setzen: Sonja Wehsely spricht offen darüber, dass es Phasen im Leben gibt – z. B. mit kleinen Kindern –, in denen Selbstfürsorge anders aussehen muss. Sport oder Me-Time waren für sie in dieser Zeit kaum möglich, und sie möchte gerade jüngeren KollegInnen diesen Druck nehmen, „alles schaffen zu müssen“.
Schlafen: Sie achtet bewusst auf ausreichend Schlaf und geht ins Bett, wenn sie müde ist – auch wenn das manchmal schon um 21 Uhr ist. Für sie ist die eigene Entscheidung der Ausdruck von Selbstfürsorge.
Gute Beziehungen: Freundschaften und eine stabile Partnerschaft sind für sie eine weitere Kraftquelle.