Interview mit Frau Martina Voss Tecklenburg, ehemalige Fußball Nationalspielerin, Bundestrainerin Frauen Nationalteam Schweiz und Deutschland.
Frau Voss Tecklenburg beschreibt in unserem Gespräch wie sie ihre Erfahrungen aus dem Spitzensport in die Wirtschaft überträgt – und warum gerade dort ein Perspektivenwechsel so wichtig ist.
Im Sport sind Themen wie Motivation und Wertschätzung selbstverständlich. Ohne Pausen keine Höchstleistung, ohne klare Bindung kein Commitment. In der Wirtschaft dagegen herrschen oft „Scheuklappen“: Mitarbeitende sollen funktionieren – egal wie.
In ihren Keynotes und Engagements bei Unternehmen stellt sie immer wieder überrascht fest: Dinge, die für sie selbstverständlich sind, wirken in Unternehmen wie neue Erkenntnisse. Frau Voss Tecklenburg teilt ein Beispiel: „Viele Führungskräfte gehen davon aus, dass Sportler immer hoch motiviert sind. Doch auch im Leistungssport gibt es Phasen von Demotivation. Entscheidend ist nicht das ständige „Pushen“, sondern das Verstehen der Ursachen: Warum fehlt Bindung oder Energie?“ Umgelegt auf Unternehmen fragt sie: „Warum ist denn die intrinsische Motivation, die Bindung oder die emotionale Bindung zum Arbeitsplatz, zum Unternehmen bzw. zum Umfeld gerade nicht so, wie es schon einmal war? Häufig lautet die Antwort: fehlende Wertschätzung.“ Menschen sagen: „Ich fühle mich nicht mehr wertgeschätzt, ich fühle mich nicht gesehen, meine Arbeit wird einfach hingenommen.“ Führungskräfte verurteilen dann Mitarbeitende, ohne zu hinterfragen, warum das Commitment fehlt. Sie fragen sich dann auch nicht: „Wie kann ich denn jetzt dazu beitragen, dass wir das wieder anpassen und verändern können?“
Frau Voss Tecklenburg formuliert eine zentrale Botschaft: Wertschätzung muss sichtbar und ausgesprochen werden. Nicht nur Kritik, sondern auch Anerkennung gehört in den Alltag: „Sprich es aus – auch im Positiven,“ meint sie. In der Nationalmannschaft werden Beiträge von allen sichtbar gemacht – auch von jenen Personen, die im Hintergrund arbeiten (z.B. Fahrer, Platzwart,…) und durch ihre Arbeit den SpielerInnen hohe Spitzenleistungen am Platz ermöglichen. Wir haben die unterschiedlichen Personen an einem Tisch zusammengebracht, gemeinsam gegessen und persönliche Geschichten geteilt. So entstand Vertrauen und Zusammenhalt.
Frau Voss Tecklenburg betont, dass alte Führungsstile – Druck, Angst, reine Erwartungserfüllung – heute nicht mehr funktionieren. Die junge Generation ist kritisch, reflektiert und wünscht sich echte Beteiligung. Wer sie ernst nimmt, wachsen lässt und Verantwortung teilt, gewinnt nicht nur Loyalität, sondern auch Spitzenleistungen.
Frau Voss Tecklenburg gibt nochmals ein Beispiel: „Wir haben Spielerinnen gefragt, was sollen wir trainieren, was glaubt ihr, was braucht ihr noch? Wir haben nicht gesagt, wir glauben, dass das Training das Richtige für euch ist, sondern wir stellen unsere Spielerinnen ins Zentrum unseres Handelns und unseres Denkens.“
Zusammenfassend bedeutet Führung für Frau Voss Tecklenburg: Menschen ins Zentrum stellen, zuhören, Perspektiven wechseln und sichtbar machen, was oft unsichtbar bleibt.
Ein weiteres, wichtiges Thema, das Frau Voss Tecklenburg in der Diskussion mit Unternehmen oft begegnet ist Regeneration und Erholung:
Im Sport ist Regeneration selbstverständlich – in Unternehmen dagegen oft ein Fremdwort. Frau Voss Tecklenburg betont: „Erholung ist die Grundlage von Leistungsfähigkeit. Es geht nicht nur um körperliche Pausen, sondern vor allem um mentale Regeneration, die in unserer schnelllebigen Arbeitswelt entscheidend ist.“
Sie fordert, dass Unternehmen Verantwortung übernehmen und kleine Oasen der Erholung schaffen: Ruheräume, Gärten, kurze Pausen, Powernaps oder sogar Physiotherapie-Angebote. Wichtig sei, dass Erholung nicht als „Faulheit“ missverstanden wird, sondern als notwendige Voraussetzung für Produktivität.
Regeneration muss individuell gedacht werden – jeder Mensch brauche andere Formen, deshalb sollten Mitarbeitende aktiv einbezogen werden: Was tut euch gut? Was braucht ihr? So entstehen Selbstverantwortung und eine Kultur, in der Pausen akzeptiert sind.
Aus ihrer eigenen Erfahrung weiß Frau Voss Tecklenburg: „Auch HochleistungssportlerInnen müssen lernen, dass ständige Optimierung kontraproduktiv ist. Ohne Leichtigkeit, mentale Frische und Pausen verliert man Motivation und wird verbissen.“ Führung bedeutet daher auch, bewusst Pausen zu ermöglichen – manchmal sogar zu verordnen – und gemeinsam anzupassen, statt starr an Plänen festzuhalten.
Als größtes Learning der letzten 10–15 Jahre bezeichnet Frau Voss Tecklenburg: Regeneration ist kein „Luxus“, sondern ein zentraler Erfolgsfaktor – für Teams, Unternehmen und Individuen.
Im Leistungssport ist der Fokus auf Ziele selbstverständlich. Doch genau dieser starke Zieltrieb kann verhindern, dass AthletInnen offen über Belastungen oder Schwächen sprechen. Deshalb haben wir als Trainerteam systematisch Strukturen aufgebaut, erzählt Frau Voss Tecklenburg: „tägliche Abfragen zu Schlaf und Wohlbefinden, eine enge Zusammenarbeit mit PsychologInnen und dem Medical Team. So entstanden für uns als Trainerteam wertvolle Hinweise, die sonst verborgen wären.“
Zentral ist dabei ein sicherer Rahmen: „Wir haben den Spielerinnen ermöglicht in geschützten Gesprächen Themen anzusprechen, ohne Angst, dass dies direkt beim Trainerteam landen“. Nur mit Zustimmung und gemeinsamem Vorgehen wird etwas weitergegeben.
Frau Voss Tecklenburg betont: „Nicht jeder geht von sich aus auf die Führungskraft zu, egal ob im Sport oder im Unternehmen, deshalb braucht es niederschwellige Anlaufstellen, Buddy-Systeme oder ExpertInnen im Hintergrund, die Vertrauen schaffen und Unterstützung bieten.“
Gleichzeitig reicht ein „offene Tür“-Prinzip allein nicht – viele nutzen es nicht, aus Angst oder Unsicherheit. Führung bedeutet deshalb auch: aufmerksam hinschauen, mehrmals nachfragen, respektvoll den richtigen Moment abpassen und konsequent Kommunikation & Perspektivwechsel leben.
Ihr Fazit: Psychologische Sicherheit und kontinuierliches Hinschauen sind Schlüsselfaktoren, um Leistungsfähigkeit und Stabilität im Team – sei es im Sport oder im Unternehmen – langfristig zu sichern.
Der Druck steigt täglich, welche Erfahrungen können Sie aus dem Spitzensport teilen, Frau Voss Tecklenburg?
Druck ist im Leistungssport allgegenwärtig – von Medien, Fans, Mitspielerinnen, TrainerInnen und GegnerInnen. Junge SpielerInnen wachsen schrittweise hinein, doch Führungskräfte müssen dabei aktiv unterstützen: durch einen sicheren Rahmen, klare Kommunikation und die Botschaft: „Du kannst hier nichts falsch machen.“
Ein zentrales Instrument ist für Frau Voss Tecklenburg die Sachebene: „Emotionen gehören dazu, können aber Urteile verzerren.“ Deshalb gilt es, bewusst Distanz einzunehmen, Spiele oder Leistungen erst später sachlich zu bewerten und im Training gezielt Drucksituationen zu simulieren.
Dabei zeigt sich: Menschen reagieren unterschiedlich – manche wachsen an Herausforderungen, andere ziehen sich zurück. Führung bedeutet, dies sensibel zu beobachten, Druck auch wieder zu reduzieren und Vertrauen zu schenken. Frau Voss Tecklenburg ist dabei wichtig: Stärken zu stärken, und Potenziale zu entwickeln, statt über „Schwächen“ zu sprechen.
Mut wird laut Frau Voss Tecklenburg gezielt gefördert: „Fehler sind erlaubt, wichtig ist das Ausprobieren. Gleichzeitig muss mit externem Druck – etwa Medienkritik, rassistischen oder sexistischen Kommentaren – professionell umgegangen werden. Hier hilft es, den Fokus gezielt auf das vertrauensvolle Umfeld zu legen, das konstruktiv fördert, statt von außen abzuwerten.“
Ihr Fazit: Druckbewältigung braucht sichere Räume, eine Mut Kultur, gezieltes Training und eine Sprache die Potenziale sichtbar macht. Nur so entsteht Entwicklung ohne lähmende Angst.
Ihr Stresstipp:
Ich muss für mich alleine sein.
Ich brauche Ruheoasen, egal ob ich spazieren gehe, schwimme, mich aufs Fahrrad setze oder meditiere.
„In meiner Arbeit oder auch in der Familie bin ich ständig von Menschen umgeben und in permanenter Kommunikation, umso wichtiger ist es für mich, Orte der Ruhe zu schaffen,“ fasst Frau Voss Tecklenburg zusammen.